Vertical Farming für zu Hause - Landwirtschaft der Zukunft mitten in der Stadt

Vertical Farming für zu Hause - Landwirtschaft der Zukunft mitten in der Stadt

„Vertical Farming könnte die Zukunft der Landwirtschaft werden’’, titelte das renommierte Forbes Magazin über den aktuellen Trend, mit dem sich Agrarwissenschaftler, Zukunftsforscher, Gartenbauer und Städteplaner schon seit vielen Jahren beschäftigen. Hinter diesem Konzept steckt die Idee, Landwirtschaft auch in urbanen Regionen zu betreiben. Anstatt auf weitläufigen Feldern sollen in Zukunft also Pflanzen, Salat, Obst und Früchte in, an oder auf Gebäuden wachsen. Und das ohne jeglichen Ackerboden, dafür aber mithilfe von Temperatur- und Lichtkontrollen, die von einer Künstlichen Intelligenz berechnet und rund um die Uhr betreut werden.

Was sich zunächst nach einem Drehbuch für einen Science-Fiction-Film anhört, ist jedoch in Wirklichkeit ein Lösungsversuch für ein sehr ernstes Problem: Die stetig ansteigende Weltbevölkerung stellt die Produktion von Pflanzen, Obst und Gemüse vor extrem große Herausforderungen. Laut Schätzungen der Vereinten Nationen muss sich die Nahrungsproduktion bis 2050 verdoppeln, um die bis dahin ungefähr neun Milliarden auf der Erde lebenden Menschen ausreichend ernähren zu können. Bis zum Jahre 2075 brauche es sogar eine zusätzliche Fläche so groß wie Australien, um die gesamte Menschheit ernähren zu können.

Aber: Woher soll dieses Land genommen werden? Gingen in den vergangenen 40 Jahren doch schon rund 30 Prozent der anbaufähigen Flächen durch Überdüngung und Klimawandel verloren, dazu wird auch Wasser immer knapper.

Gebäudegärtnerei statt Landbewirtschaftung

„Landwirtschaft in Gebäude zu verlegen ist die beste Methode, Nahrungssicherheit zu gewährleisten“, sagte auch der amerikanische Wissenschaftler Dickson D. Despommier, der als Visionär des Vertical Farmings bekannt ist.

Er setzt sich seit den 90er Jahren vehement dafür ein, Nutzpflanzen in Großstädten anzubauen. Anfangs schwebte ihm sogar vor, in jedem Stockwerk ganzer Hochhauses eine Fabrik für unterschiedliche Nahrungspflanzen oder sogar Tierproduktionen zu beherbergen. Der Vorteil eines solchen Gemüse-Wolkenkratzers liegt nach Ansicht Despommiers vor allem in der ganzjährigen Bewirtschaftung, die völlig unabhängig von klimatischen Umständen und Extremen funktioniere. Zudem würden vertikale Farmen mit 30 Stockwerken seinen Berechnungen zufolge rund 50.000 Menschen versorgen können. Mittlerweile definiert Dickson D. Despommier jedoch jedes Gebäude, in dem etwas wächst und das höher als ein Gewächshaus ist, als eine sogenannte Vertical Farm.

Trend urbane Gärtnerei

Die landwirtschaftliche Nutzung von urbanen Räumen interessiert auch immer mehr Privatpersonen und Familien, denen die Nähe zum Produkt und der Konsum lokaler Lebensmittel wichtige Anliegen sind. Durch das Vertical Farming können sie selbst frische Produkte kultivieren und verzehren, eine Verbindung zur Natur herstellen oder ihren Kindern zeigen, wie Lebensmittel produziert werden.

In den sogenannten Nachbarschaftsgärten, also der landwirtschaftlichen Nutzung städtischer Flächen innerhalb von Siedlungsgebieten, gärtnern mittlerweile Menschen aus allen Generationen und aus allen gesellschaftlichen Schichten. Es fasziniert die Kombination aus direktem Abfallrecycling, natürlichen Stoffkreisläufen, erneuerbarer Energie und moderner Technologie direkt vor der eigenen Haustür. Aber auch das Vertical Farming im Eigenheim erfreut sich immer größerer Beliebtheit.

Deshalb bieten inzwischen viele Firmen vertikale, automatisierte Kleingarten-Systeme für die ökologische Eigenproduktion zu Hause an. Dabei sind viele dieser Produkte, die meistens von ambitionierten Start-up-Unternehmen entwickelt wurden, oft so ausgeklügelt, dass die unterschiedlichsten Produkte angepflanzt werden können. So reicht die Palette von heimischen Salatköpfen bis hin zu asiatischen Spezialitäten. Manche Systeme lassen sich sogar von unterwegs über eine App auf dem Smartphone steuern. Aber vor allem sorgen die ,,intelligenten Gewächsschränke’’ auf Balkonen, Terrassen, Innenhöfen und Flachdächern für neue, hübsch anzusehende Gartenflächen mitten in der Stadt.

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Der Anbau von Lebensmitteln wächst in die dritte Dimension und findet seinen Platz auch mitten in der Stadt

Microgreens in Luftschutzbunkern und Obstplantagen in Türmen

Langsam, aber sicher etabliert sich das Konzept des Vertical Farmings auf der ganzen Welt. So hat beispielsweise in der Nähe von Seattle im US-Bundesstaat Washington die kalifornische Pionier-Firma Plenty bereits eine erste, voll funktionsfähige Vertical Farm eröffnet. Ohne die Zugabe von Pestiziden oder ähnlich schädlichen Produkten wachsen dort Pflanzen und die unterschiedlichsten Obstsorten in sechs Meter hohen Türmen. In London dagegen werden in einem ehemaligen Luftschutzbunker Gemüse und Kräuter angebaut, die in einem sehr frühen Stadium geerntet werden. „Microgreen“ nennen die Briten diese Anbautechnik.

Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) wiederum hat, in Zusammenarbeit mit internationalen Partnern, die „Vertical Farm 2.0“ entworfen. Auf dieser Farm soll Pflanzenanbau in Großstädten auf mehreren Etagen, ganz ohne Ackerboden und das ganze Jahr über möglich werden. Auch geschmacklich würden sich die künstlich gezüchteten Produkte nicht von den Lebensmitteln unterscheiden, die man im Supermarkt kauft.

Alle diese Farmen haben dabei gemeinsam, dass ihre Produktion an die Gegebenheiten des jeweiligen Standorts und die Bedürfnisse der Bevölkerung vor Ort individuell angepasst werden kann. Demnach können bei allen Modellen die Parameter wie Luftfeuchtigkeit, Licht oder auch Nährstoffe stets optimal eingestellt und reguliert werden.

Dafür oder dagegen

Allerdings hat das Vertical Farming nicht nur Befürworter, sondern auch viele Kritiker.

Für die urbane Landwirtschaft spricht im Allgemeinen eine optimale Flächennutzung, die Wetter- und Jahreszeitenunabhängigkeit und die Nähe zum Verbraucher. Durch letztere werden mehr Frische der Produkte, weniger Umweltbelastung durch Transport und eine leichtere Direktvermarktung gewährleistet. Außerdem wird durch die Kreislaufwirtschaft der Treibhauseffekt des atmosphärischen Kohlenwasserstoffs minimiert. Wird der urbane Gartenbau als geschlossenes System durchgeführt, ist er zudem wasser- und nährstoffsparend. Da hierbei in der Regel kein Boden aus natürlicher Erde kultiviert wird, können die Erzeugnisse nicht als Bioprodukte nach europäischen Regeln deklariert werden. Wenn jedoch ansonsten alles den ökologischen Ansprüchen entspricht, werden sicherlich auch umweltbewusste Verbraucher die Produkte von vertikalen Farmen akzeptieren, erwerben und konsumieren.

Kritiker argumentieren dagegen, dass die Vorteile, die durch die räumliche Nähe von Produktion und Konsum entstehen, durch mehrere Faktoren schnell wieder nivelliert werden. Vor allem der enorme Bedarf an künstlichem Licht würde im Endeffekt dafür sorgen, dass die versprochenen Entlastungen für die Umwelt nicht eintreffen werden. Der hohe Einsatz von Technik beim professionell betriebenen Vertical Farming würde zudem auch den menschlichen Gartenarbeiter weitgehend überflüssig machen.

Trend einer uralten Idee

Ob man das Konzept vom Vertical Farming befürwortet oder nicht, bleibt selbstverständlich jedem selbst überlassen.

Eine indiskutable Tatsache ist dagegen, dass es die Idee des Vertical Farmings schon seit vielen Jahrzehnten gibt. Schon die indigenen Völker Amazoniens haben ihr Gemüse und Obst etagenweise angebaut und konnten ihre Landwirtschaft damit sehr effizient betreiben. Auch die hängenden Gärten von Babylon hatten den Sinn, Nutzpflanzen nicht in Bodennähe anzubauen.

So haben auch schon im letzten Jahrhundert viele Wissenschaftler über dieses Konzept geschrieben, die ersten Studien zu landwirtschaftlichen Hochhäusern kamen in den 60er Jahren auf. Doch wahrscheinlich wurden die vielen Projekte nicht umgesetzt, weil es keine Notwendigkeit dafür gab.

Heutzutage besteht jedoch vor allem durch die stetig ansteigende Verknappung der natürlichen Ressourcen akuter Handlungsbedarf auf diesem Gebiet.

Das Bestreben von modernen Großstadtmenschen nach einem bewussteren, nachhaltigerem Konsum und Lebensstil wird das Konzept Vertical Farming ebenfalls vorantreiben. Das spiegelt sich auch in den städtebautechnischen Trends wider, die immer mehr in Richtung ökologische Nachhaltigkeit gehen. Besonders im städtischen Gartenbau werden dabei künstlich geschaffene Produktionssysteme sowie Fassaden- und Dachflächen definitiv eine zunehmend wichtigere Rolle spielen.

Selbst der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages fördert das staatliche Programm „Zukunft Stadtgrün“ in den kommenden Jahren mit insgesamt 50 Millionen Euro, mit dem Maßnahmen zur Verbesserung der urbanen grünen Infrastruktur unterstützt werden sollen.

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