Schwimmende Städte – wohnen Menschen bald auf den Ozeanen?

Schwimmende Städte – wohnen Menschen bald auf den Ozeanen?

Die Erde erwärmt sich und durch den steigenden Meeresspiegel werden immer mehr Inseln und Küstenabschnitte von fatalen Überschwemmungen bedroht. Doch wohin sollen die Bevölkerungsgruppen umsiedeln, deren Lebensraum von heute auf morgen verschwindet oder zumindest verschwinden könnte? Schwimmende Städte in Landnähe könnten die Lösung sein. Einige Pläne für solche Projekte gibt es jedenfalls schon.

Der Meeresspiegel steigt aktuell zwar nur um knapp vier Millimeter pro Jahr. Damit steigt er allerdings fast dreimal schneller als im vergangenen Jahrhundert. Experten rechnen damit, dass im Jahr 2100 der Pegel etwa 30 bis 60 Zentimeter höher sein könnte als heute. Nach den düstersten Prognosen könnte er sogar auf mehr als einen Meter steigen, bis zum Jahr 2300 könnten es gar fünf Meter sein. Wie hoch sich der Meeresspiegel jedoch tatsächlich nach oben schraubt, wird aber im Wesentlichen davon abhängen, wie stark wir Menschen die Erderwärmung auf unserem Planeten in Zukunft aufhalten werden. Für rund eine Milliarde Menschen auf der ganzen Welt ist die Erderwärmung jedoch heute schon eine sehr besorgniserregende Begebenheit, denn mit dem steigenden Meeresspiegel steigt auch das Risiko von Überschwemmungen durch Sturmfluten, Erosion und Versalzung des Grundwassers. Unzählige Küstenstädte werden von solchen Naturkatastrophen betroffen sein, die Häuser und Infrastruktur zerstören und damit Millionen von Menschen heimatlos machen könnten. Doch wohin sollen all diese Menschen dann umsiedeln? Eine mögliche Lösung sind künstliche Städte, die schwimmen können.

Alte Idee, langwierige Umsetzung

Die Idee für solch ein Konzept gibt es schon sehr lange: So erfand das Volk der Uru in Peru schon vor Jahrhunderten künstliche schwimmende Wohninseln auf dem Titicacasee. Der Japaner Kiyonori Kikutake präsentierte Ende der 50er-Jahre mit seiner ‚Marine City‘ die erste moderne Version einer schwimmenden Stadt, um dem knappen Wohnraum an Land Paroli zu bieten. Den US-amerikanischen Architekten und Visionär Buckminster Fuller reizte bei seinem Projekt ‚Triton‘ in den 60er-Jahren wiederum das „günstige Bauland“ der schwimmenden Städte. „Schwimmende Städte zahlen keine Miete an Vermieter“, schrieb er in seinem Buch „Critical Path“. Allerdings: Keiner dieser Pläne wurden jemals umgesetzt.

Das Revival der schwimmenden Städte

Im Rahmen der Überlegungen zum Klimaschutz erhielten die Visionen der ‚schwimmenden Städte‘ jedoch wieder Aufwind, denn technisch machbar sind derartige Konstruktionen durchaus. So sind zum Beispiel auch Kreuzfahrtschiffe eigentlich nichts anderes als schwimmende Stahlinseln, die Tausende Menschen beherbergen, unterhalten und versorgen können. Und da zwei Drittel der Erde mit Ozeanen bedeckt sind, wäre für schwimmende Städte auch jede Menge Platz auf unserem Planeten.

2019 luden sogar die Vereinten Nationen zu einem runden Tisch zu dem Thema „Nachhaltige und schwimmende Städte“ ein. Anwesend war auch Unternehmer Marc Collins Chen aus Tahiti. Er stellte bei dieser Gelegenheit seine schwimmende Stadt ‚Oceanix City‘ vor, die er gemeinsam mit dem dänischen Stararchitekten Bjarke Ingels entworfen hatte und auf der Menschen wohnen, einkaufen, arbeiten und ihre Freizeit verbringen können. Das Grundgerüst der Wasserstadt sind dabei schwimmende Plattformen, sogenannte Neighborhoods, auf denen sich der komplette Versorgungskreislauf befindet. Windräder und Fotovoltaikanlagen auf den Dächern sorgen für Energie, Gewächshäuser für Nahrung, Regen- und Salzwasseraufbereitungsanlagen sollen Trinkwasser liefern. Wegen der überschaubaren Fläche müssten sich die Bewohner allerdings auf eine überwiegend pflanzliche Kost und Meeresfrüchte beschränken.

Ein Archipel mit mehr als zwei Millionen Einwohnern

Die schwimmenden Plattformen der ‚Oceanix City‘ sollen an Land vorgefertigt und dann vor große Küstenmetropolen geschleppt werden. Rund 300 Menschen sollen auf einer Einheit wohnen können, welche zu immer größeren Strukturen kombinierbar sind. Ein Archipel mit Tausenden Plattformen könnte mehr als zwei Millionen Einwohner beherbergen. Chen selbst sieht sein Projekt Oceanix als „Erweiterungen bereits bestehender Küstenstädte überall auf der Welt, die mit Zustimmung der jeweiligen Regierung ein bis zwei Kilometer vor der Küste eines Landes treiben würden“. Unklar ist aber bisher, ob, wann und wo die erste ‚Oceanix City‘ errichtet wird. Man sei jedoch mit mehreren interessierten Regierungen in Gesprächen, so Initiator Marc Collins Chen – so unter anderem mit Südkorea, das vor der südkoreanischen Stadt Busan bis 2025 eine ‚Oceanix City‘ errichten möchte.

Weitaus konkreter kommt allerdings das Projekt ‚Floating City‘ voran, das bereits 2022 auf den Malediven entstehen soll. Die Malediven sind als Ort auch nicht zufällig gewählt, denn sie drohen in absehbarer Zeit in den Fluten zu versinken, da 80 Prozent des Inselstaats weniger als einen Meter über dem Meeresspiegel liegen. Die auf sechseckigen Modulen angeordneten Häuser der ‚Floating City‘ sollen dabei Wohnflächen ab 100 Quadratmetern bieten und ab umgerechnet 216.000 Euro aufwärts kosten. Gegen Wind und Wetter soll die ‚Floating City‘ ein Ring aus Sandinseln schützen.

Ein Wohnturm mitten im Meer und ein Kuhstall im Rotterdamer Hafen

Sobald es einen Kunden gibt, will auch die japanische Firma Shimizu mit dem Bau ihrer schwimmenden Inseln ‚Green Float‘ beginnen. Diese sollen überwiegend in ruhigen Gewässern mit hoher Verfügbarkeit an Sonnenlicht rund um den Äquator errichtet werden, wo tropische Wirbelstürme rar sind. Gedacht ist ‚Green Float‘ als schwimmende Beton-Plattform mit einem tausend Meter hohen Wohnturm in der Mitte. Er soll Wohnraum für bis zu 30.000 Menschen bieten, in den unteren Etagen sollen Pflanzen-Fabriken Nahrung für die Bewohner produzieren. Mehrere Inseln sollen zu größeren Modulen mit bis zu einer Million Einwohnern zusammengelegt werden können. Zunächst soll jedoch nur die kleinere Version ‚Green Float II‘ mit einem ‚nur‘ 120 Meter hohen Wolkenkratzer in Küstennähe gebaut werden.

Aber auch das niederländische Unternehmen Blue21 plant den Bau von schwimmenden Städten, die jedoch zunächst als Erweiterung bestehender Küstenstädte konzipiert sind, bevor es hinaus auf das offene Meer geht. Dass sich auch Initiatoren aus Holland für schwimmende Städte interessieren, ist naheliegend, immerhin liegt mehr als ein Viertel des Landes unterhalb des Meeresspiegels. So wurde jüngst in der Hauptstadt Amsterdam mit ‚Schoonschip‘ bereits das erste komplett nachhaltige schwimmende Viertel errichtet und im Hafen von Rotterdam gibt es immerhin schon einen schwimmenden Kuhstall.

Politische Sinnbilder

Die Vision der schwimmenden Stadt ist für andere wiederum auch ein Sinnbild politischer Ideen: So träumen die sogenannten Seastader von ganzen Nationen auf hoher See, völlig außerhalb der Hoheitsgewässer heutiger Staaten. Die marinen Startups sollen miteinander um Einwohner konkurrieren, anders als an Land könnten Bewohner mit ihren schwimmenden Häusern bei Unzufriedenheit einfach die „Nation“ wechseln. Zu der Seasteading-Bewegung zählen auch die Ocean Builders. Die Unternehmensgruppe möchte vor der Küste Panamas die ultramodern anmutenden Seapods im Meer errichten, die im Durchschnitt weniger als ein europäisches Haus kosten sollen. Neben politischen und wirtschaftlichen Ideen geht es den sogenannten Seasteadern aber auch um Nachhaltigkeit. Durch die Bauten auf dem Meer würden neue Lebensräume für Tiere und Pflanzen geschaffen werden, sagen sie.

Joe Quirk, der Präsident des Seasteading-Institutes, glaubt zudem fest daran, dass der Bau von schwimmenden Städten unmittelbar bevorsteht: „Die ersten schwimmenden Stadtteile in Landnähe dürften in den nächsten Jahren entstehen", sagt er und ist sich vor allem sicher: „Wir werden Städte auf dem Ozean viel früher als Häuser auf dem Mars bauen.“

Die stuttgarter immobilienwelt ist eine Fachzeitung rund um das Thema Immobilien in Stuttgart und in der Region mit dem Ziel, den Stuttgarter Immobilienmarkt transparenter zu machen und lokal zu informieren.

Kontaktieren Sie uns: kontakt@stuttgarter-immobilienwelt.de

© Copyright 2021 - stuttgarter immobilienwelt